Jahresbericht 2002

7. Arbeit, Arbeitslosigkeit und Leben

Arbeit und Arbeitslosigkeit sind immer wieder Thema in psychologischen Beratungen

In Beratungen wird immer wieder deutlich, wie stark sowohl die Arbeitsplatzsituation als auch Arbeitslosigkeitsphasen von vielen Menschen im Erwerbsalter – das ist die Hauptgruppe derjenigen, die unsere Familien- und Lebensberatungsstellen aufsuchen – als belastend erlebt werden. Zwar sind die Hauptanliegen (siehe Statistik) privater, persönlicher und nicht beruflicher Natur. Aber die Arbeitsbedingungen oder die Freisetzung in Arbeitslosigkeit sind Teil der Rahmenbedingung für das persönliche, das partnerschaftliche und das familiäre Leben, und sie werden immer wieder als Problem vorgetragen.

Die Lebenslage vieler berufstätiger Frauen und Männer ist zunehmend geprägt von Leistungsdruck und Konkurrenz innerhalb der Belegschaft, Angst um den Arbeitsplatz, enormen Flexibilitätsanforderungen und einem dauernden Lern- und Fortbildungsdruck. Die Berufssituation beeinflusst das Privatleben bis in den Schlaf hinein, prägt die „freie“ Zeit mit. Die Person, die Partnerschaft und die Familie sind z. T. sehr ungünstig beeinflusst von den beruflichen Anforderungen, die als seelische Belastung erlebt werden. Psychische Symptome und psychosomatische Erkrankungen sind nicht selten nur im Kontext mit schwierigen Berufssituationen zu verstehen.

Stress, Depressionen, Angstzustände und psychische Zusammenbrüche am Arbeitsplatz seien immer weiter verbreitet, heißt es in einem Bericht der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Ursächlich hierfür seien die Erfordernisse nach schnellerer und effizienterer Arbeit sowie die neuen Technologien. Der wachsende Konkurrenzdruck mache immer mehr Arbeitnehmern zu schaffen

Arbeitslosigkeit, nicht nur plötzlich entstandene, krempelt die Lebenssituation umfassend um. Der Verlust des Arbeitsplatzes führt häufig zu einer Beeinträchtigung der Identität, des Selbstvertrauens, des persönlichen Kompetenzerlebens, hat also gravierende persönliche Folgen. Diese lassen partnerschaftliche und familiäre Beziehungen nicht unbeeinflusst, sondern belasten sie in einem häufig hohen Ausmaß. Seelische Folgen der Arbeitslosigkeit wirken z. T. wie ein Schock, verhindern einen produktiven und aktiven Umgang mit der neuen Situation und erschweren den Widereinstieg ins Berufsleben, können ihn verunmöglichen.

Die Beratungsstellen des Diakonischen Werkes sind offen für alle Ratsuchenden mit ihren unterschiedlichen Anliegen, die persönliche, soziale, partnerschaftliche, familiäre und berufliche Problemlagen, d.h. ein breites Spektrum an Schwierigkeiten umfassen. Ratsuchende bringen vielerlei Anliegen, Beschwerden und Symptome mit: psychische Belastungssymptome wie Ängste, Stressgefühle, innere Spannungen, Verunsicherungen, depressive Reaktionen sowie psychosomatische Störungen, z.B. Schlaflosigkeit, Störungen der Nahrungsaufnahme und Verdauung, Schwindelgefühle, muskuläre Verspannungen, Spannungskopfschmerzen usw.

All diese Ausdrucksformen von Leiden hängen nach unserer Wahrnehmung immer häufiger mit schwierigen beruflichen Situationen zusammen, die sich auf das partnerschaftliche und familiäre Leben auswirken. Das gilt auch für drohenden oder erlittenen Arbeitsplatzverlust.

Gerade aus psychologischer Beratungssicht können diese Symptome nicht nur im Zusammenhang mit der persönlichen Problematik und Lebensgeschichte der Betroffenen verstanden werden, sondern ihre auf die berufliche Situation bezogene Lebenslage muss mitberücksichtigt werden.

Die unvermindert hohe Arbeitslosigkeit als auch die vielerorts in Betrieben und bei Arbeitgebern der öffentlichen Hand stattfindenden Umstrukturierungsmaßnahmen mit all ihren Auswirkungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stellen Stressfaktoren dar, die Einzelne, Paare und Familien beeinträchtigen und somit als Probleme in die Beratungseinrichtungen einmünden. Gerade Konkurrenzdruck, betriebsinterne Strukturveränderungen und ein hoher Anforderungsdruck an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können weitreichende psychische und soziale Auswirkungen auf die Beschäftigten haben. Die Befindlichkeit, die Leistungsfähigkeit, die Arbeitszufriedenheit ändern sich auch wegen der hohen Arbeitslosigkeit und dem damit drohenden „sozialen Abrutschen“ insgesamt zum Negativen.

Nach einer europaweiten Studie der Fachvereinigung Arbeitssicherheit (FASI), hat sich Stress zur Belastung Nummer Eins am Arbeitsplatz entwickelt, wobei psychischer Stress die Klassiker Lärm, Hitze, Kälte, Gefahrstoffe sowie Heben und Tragen schwerer Lasten vom Spitzenplatz der Arbeitsbelastungen abgelöst hat. Stress entstehe durch Arbeitsverdichtung, eingeengte Entscheidungsspielräume, Über- und Unterforderung sowie soziale Konflikte mit Kollegen bis hin zum Mobbing

Klassische Erwerbsbiografien, mit einer Ausbildung für einen Beruf, der dann in einer Firma lebenslang ausgeübt wird, sind mehr und mehr die Ausnahme. Stattdessen erleben viele Menschen im Erwerbsalter im Laufe ihrer beruflichen Entwicklung starke Brüche, berufliche Krisen, Umlernen-Müssen, Einstiege in andere Berufe, Umschulungen, Phasen von Arbeitslosigkeit, berufsbedingte Einschränkungen und Umwälzungen des Privatlebens, z.B. Umzüge usw.

All das lässt die Menschen nicht unbeeinflusst, sondern kann zu negativen Begleiterscheinungen führen wie innerer Verunsicherung, Selbstwerteinschränkung, Gefühl von Kompetenzverlust, sozialer Rückzug und Isolation, Destabilisierung, partnerschaftliche und familiäre Konflikte, gesundheitliche, insbesondere psychosomatische Beeinträchtigung.

Da Erwerbsarbeit nach wie vor ein zentrales sinnstiftendes Medium im Leben der meisten Menschen ist, wirkt eine Beeinträchtigung, Gefährdung oder gar der Verlust des Arbeitsplatzes zugleich als eine Minderung des Selbstwertgefühls und der persönlichen Identität. So wird Arbeitslosigkeit bei den meisten Betroffenen als eine tiefe persönliche Krise erlebt, vor allem wenn sie plötzlich und unerwartet auftrat.

PsychosoziaPsychosoziale und gesundheitliche Folgen von Arbeitslosigkeit sowie im Vorfeld die Angst vor Arbeitslosigkeit sind auch vielfältiger Gegenstand sozialwissenschaftlicher Forschung und Dokumentation. Die Dauer des erlebten Stresses bei Arbeitsbelastungen und des Stresses der Arbeitslosigkeit ist auf Seiten der Betroffenen auch davon abhängig, wie die Situation verarbeitet wird und wie damit aktiv umgegangen werden kann: Coping, Bewältigungsstrategien

.Aus unserer Praxis sowie den Erfahrungen anderer Beratungsstellen, Ärzten und sozialen Institutionen, können auch im Westkreis Offenbach psychosoziale Folgewirkungen von Arbeitsdruck, Verunsicherung, Mobbing, Gefährdung der Arbeitsplätze und Arbeitslosigkeit beobachtet werden. Erprobte Lehrgänge und Eingliederungsmaßnahmen im Bereich der beruflichen Rehabilitation konzentrieren sich meist auf berufs- und arbeitsspezifische Inhalte, die fachliche Qualifikation.

Dem gegenüber konzentrieren sich gerade psychologische Beratungsangebote darauf, einen sozialen Ort zu ermöglichen, an dem nicht nur persönliche, partnerschaftliche und familiäre Probleme sondern auch Sorgen im Zusammenhang mit der Arbeit thematisiert werden können, um dort Hilfe zu bekommen.

Die Psychologische Beratungsstelle für Ehe-, Familien- und Lebensfragen und die Allgemeine Lebensberatungsstelle des Diakonischen Werkes Offenbach-Dreieich-Rodgau, beide seit Juni 2002 unter einer Leitung und beide mit dieser Thematik immer wieder befasst, wollten auf diese Situation, wie sie sich in der Beratungsarbeit beider Fachbereiche zeigt, öffentlich aufmerksam machen und mit ihren Möglichkeiten Unterstützung für Betroffene anbieten. Ziel ist es, Menschen, die in ihrer Berufssituation oder durch Arbeitslosigkeit betroffen sind, in ihrer eigenen Kompetenz zu stärken, Selbsthilfepotentiale zu entwickeln, um berufliche Krisen oder Brüche zu bewältigen. Dies betrifft sowohl persönlich Betroffene, als auch Angehörige im sozialen Nahbereich.

In Kooperation mit der Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstelle der Caritas in Offenbach wurde schon in 2001 eine Veranstaltungsreihe unter deren Federführung in der Stadt Offenbach durchgeführt. Eine ähnliche Veranstaltungsreihe fand im Herbst 2002 im Westkreis Offenbach als Bereicherung des öffentlichen Diskurses zu diesem Thema aus Beratungssicht statt, diesmal unter Federführung des Diakonischen Werkes und unter Mitwirkung der ökumenischen Arbeitsloseninitiative Dreieich. Des Weiteren sollte ein Gruppen-Angebot für Betroffene von Mobbing etabliert werden, das leider nicht zustande kam, sowie Ressourcen für Betroffene aus der Region bekannt gemacht werden (siehe Plakat unten).

  • Dipl.- Psychologin Ingrid Jost (Leiterin der Eheberatungsstelle der Caritas in Offenbach) referierte zum Thema „Arbeit …zu viel Arbeit .…keine Arbeit. Auswirkungen auf Lebensgestaltung und Familie“, mit anschließender Diskussion. Hierbei ging es differenziert um das Thema Arbeit im Verhältnis zu sonstigen Lebensbereichen aus psychologischer Sicht.
  • Dipl.-Psychologin Claudia Groß (Abteilung Arbeits- und Organisationspsychologie der Universität Frankfurt) informierte über das Thema „Mobbing am Arbeitsplatz – aktuelle Forschungsergebnisse und deren Bedeutung für die Praxis“. Dabei ging es um: Was ist Mobbing, was nicht? Definition von Mobbing am Arbeitsplatz, Mobbingstrategien, aktuelle Ergebnisse zur Häufigkeit, zur Dauer, zum Geschlecht der Mobbingbetroffenen, zu den betroffenen Branchen, zur Position der Mobber, zu Ursachen, zu Risikofaktoren für Mobbing, zu gesundheitlichen, betrieblichen und individuellen Folgen und zur Bewältigung von Mobbing.
  • Dipl.-Sozialarbeiterin Astrid Feith (ehemals Diakonisches Werk, nun Stadtverwaltung Neu Isenburg) stellte ihr Projekt einer Gruppe für Mobbingbetroffene vor.
  • Diplom-Sozialpädagogin Gisela Pohl (öAI = ökumenische Arbeitslosen-Initiative Dreieich) berichtete von den Angeboten für Arbeitslose: Beratung, offene Treffs, Gesundheitsförderungskurse, Bewerbungsunterstützung, Praktika usw.


Psychologische Beratungsstelle und Allgemeine Lebensberatung des
Diakonischen Werkes
Offenbach-Dreieich-Rodgau

Psychologische Beratungsstelle
für Ehe-, Familien- und Lebensfragen  des
Caritasverband
Offenbach e.V.

Einladung zu einer Veranstaltungsreihe

ARBEIT UND LEBEN

18. Oktober 2002:

Langen

Arbeit … zuviel Arbeit … keine Arbeit.
Auswirkungen auf Lebensgestaltung und Familie.
Vortrag mit Diskussion
Ingrid Jost, Diplom-Psychologin u. Psychotherapeutin (Caritasverband Offenbach)
Langen, Gemeindesaal der Stadtkirche, Frankfurter Strasse 3a

25. Oktober 2002:

Dreieich

Mobbing am Arbeitsplatz.
Vortrag mit Diskussion
Claudia Groß, Diplom-Psychologin (Universität Frankfurt a.M.)
Dreieich, An der Winkelsmühle 5 (großer Saal)

1. November 2002:

Langen

Zwischen Arbeitsstress und Arbeitslosigkeit
Wie kann den Folgen von Mobbing und Arbeitslosigkeit begegnet werden?
Podiumsveranstaltung mit:
Astrid Feith, Diplom-Sozialarbeiterin, Allgemeine Lebensberatung, Diakonie Dreieich
Gisela Pohl, Diplom-Sozialarbeiterin, ökumenische Arbeitslosen-Initiative Dreieich
Michael Gallisch, Diplom-Psychologe, Psychologische Beratungsstelle Langen
Langen, Gemeindesaal der Stadtkirche, Frankfurter Strasse 3a

Beginn: jeweils 19.00 Uhr

Nähere Auskünfte:
Diakonisches Werk Offenbach-Dreieich-Rodgau
Astrid Feith, Dreieich, An der Winkelsmühle 5,
Tel.: 06103-987525
Michael Gallisch, Langen, Bahnstr. 32,
Tel.: 06103-929642


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